Appetit wie eine Schwangere

Dazugelernt – zwischen Gibraltar und St Lucia

Wir haben uns natürlich intensiv auf unsere Langfahrt sowie die Atlantiküberquerung vorbereitet. Haben Kurse und Vorträge besucht, Bücher gelesen und uns mit vielen Leuten unterhalten. Man begegnet dabei auch vielen Themen zu denen es sehr gegensätzliche Meinungen gibt, die manchmal fast schon ideologisch vertreten werden und es dabei oft schwer ist festzustellen, was für einen selbst, das eigene Schiff, die eigene Crew, die eigenen Routenpläne etc. das Richtige ist. Ganz unabhängig davon fühlten wir uns mit unserer Vorbereitung recht wohl, haben versucht auch vieles zu Durchdenken was uns erwartet, zu dem wir aber noch keine eigene Erfahrung hatten. Auch aus heutiger Sicht denken wir, dass wir das ganz gut hinbekommen haben. Letztendlich ist das selbst erlebte, dann aber doch was anderes, und man lernt ja bekanntlich nie aus. Wir wurden von einigen Leuten gefragt, was wir denn gelernt haben. Nun was haben wir also zwischen Gibraltar und St Lucia dazugelernt, was wir vorher nicht, oder nicht wirklich sicher wussten:

Sunbeam – schneller als ohnehin schon gedacht

Wir wussten natürlich dass eine Sunbeam ein schnelles Schiff ist. Aber sooo schnell hätten wir dann auch nicht gedacht. Jetzt denken sich natürlich alle aus dem Sunbeam Team „haben wir Euch doch gesagt“, ja klar, aber hören ist etwas anderes als es im Vergleich zu anderen Booten selbst zu erleben. Jetzt kann man natürlich sagen, der Speed ist egal, und beim Cruisen bei schönem Wetter ist er das jedenfalls. Aber der Speed kann auch mal bei entsprechendem Wetter zur Sicherheitsfrage werden oder ermöglicht den einen oder anderen gefühlt längeren Schlag als Daysail statt als Overnighter zu machen. Dann ist es schon gut zu wissen, dass man für die Größe ein rasantes Gefährt unterm / rund ums Cockpit hat.

In Las Palmas kam ein Profiskipper aus Südafrika zu uns: „nice lines, must be fast, what is she?

Die ersten 3 Passageregeln: Anti-Chafe, Anti-Chafe und Anti-Chafe

Die Regeln sind bekannt, beim Wie scheiden sich dann die Geister. Wir hatten so eine interessante Situation in Mindelo: Die Crew am Nachbarschiff ist gerade dabei aufgeschnittene Schaumstoff Röhren an die Salinge zu kleben um das Scheuern des Großsegels zu verhindern. Wir meinen achselzuckend: ist uns egal, brauchen wir nicht. Die Nachbarscrew: wie macht Ihr das dann mit Eurem Großsegel? Wir: Es nicht verwenden. Die Augen hättet Ihr sehen sollen. Die Antwort war natürlich verkürzt, und wir haben das Groß in sehr stark gereffter Form zur Stabilität schon genutzt, aber da liegt es dann auch nicht mehr an den Salingen an. Bullenstander war trotzdem gesetzt. Es war unsere bedeutendste Chafe Prevention Maßnahme, und sie hat auch gewirkt, unser Groß trug keinerlei Scheuerstellen davon, weil wir für Downwind mit Passatbeseglung und Parasail gute Optionen hatten. Unabhängig davon, haben wir bei den ARC Vorträgen in Las Palmas noch einiges zum Thema gelernt und auch noch Kleinigkeiten umgerüstet: Wir haben zum Beispiel das Spi-Fall aus dem Führungsbeschlag am Mast rausgeholt und es durch einen Block geführt, der mit einem entsprechend dimensionierten Softschäkel an jenem Beschlag befestigt ist. Das ist eine Parasail spezifische Maßnahme, aber der Parasail bleibt gegenüber dem Wind recht stabil, das Boot rollt aber darunter in den Wellen, und damit ist das Fall an diesem Beschlag starken seitlichen Bewegungen ausgesetzt, die nun durch den Softschäkel aufgefangen wurden (den man bei Bedarf auch leicht ersetzen kann; für hin und wieder im Mittelmeer wäre das egal, aber ggf 3 Wochen am Stück ist halt was anderes). Des Weiteren haben wir uns auf Basis von Erfahrungen anderer dazu entschieden, die Schoten an den Enden der Ausbaumer ebenfalls durch Blöcke laufen zu lassen. Hatten wir davor irgendwie noch nicht am Plan.

Anti-Chafe war dann auch Sollbruchstelle um größeren Schaden bei 40kn Bö zu vermeiden

Appetit wie eine Schwangere

Für uns das überraschendste Learning: wir können nicht gut vorhersehen worauf wir auf See Appetit haben, und haben dann auf einmal Hunger auf komische Sachen, oder Sachen, die wir schon ewig nicht mehr gegessen haben. So gelangten auf unseren Passagen zum Beispiel Leberpastete, Butterkekse, eingelegte Zwiebeln und Knäckebrot zu neuer Beliebtheit, aber eben auch nicht immer, und dann zu den seltsamsten Uhrzeiten. Aber wer weiß denn schon aus dem normalen Leben worauf man um 3 Uhr morgens typischerweise Hunger hat. Später am Atlantik gingen aber die Butterkekse gar nicht mehr, wir haben noch immer ein paar Packungen an Bord, gegebenenfalls dann für die nächste Ozeanpassage.

Eingelegte Zwiebeln vom spanischen Lidl

Die drei Level des Grooves

Dass es 2-3 Tage braucht bis einem auf Passage die „Seebeine“ wachsen ist weithin bekannt und hat uns nicht überrascht. Dass man nach knapp einer Woche nochmal mehr in den Groove kommt, und die Abläufe noch natürlicher von der Hand gehen war uns schon auf unseren ersteren Passagen (im Mittelmeer, von Gibraltar nach Las Palmas) klar. Am langen Atlantik Schlag merkten wir dann aber auch, dass es für uns noch einen dritten Level des Grooves gibt: so nach gut 10 Tagen waren wir da nochmal auf einer anderen Ebene. Krass wie schnell die Tage vergehen, wie leicht man sich auf veränderliches Wetter einstellt (von der 3,5m Welle zum spiegelglatten Atlantik). Es war ungefähr an der Stelle als wir auch angefangen haben Routenphantasien für die weitere Zukunft zu spinnen. Uns war ja ursprgl. nicht klar wie es uns auf Passage geht, aber an der Stelle war dann klar, das muss nicht unbedingt unsere letzte Ozeanüberquerung gewesen sein.

Im Groove den täglichen Offshore Sonnenuntergang genießen

Ein Autopilot bleibt ein Autopilot

Eine der ewigen Diskussionen unter Langfahrern: Autopilot und / oder Windfahnensteuerung. Wir haben uns ja für die Variante Autopilot plus vollständiges redundantes Autopilot System als Ersatzteile an Bord entschieden. Das Heck am Schiff bleibt „schöner“, es ist letztendlich günstiger. In unserem Fall wäre selbst das Geräusch unter dem Bett im Achterschiff egal, da es erstens nicht laut ist und wir zweitens auf Passage i.d.R. ohnehin im Salon schlafen. Dennoch bleiben da diese Restzweifel: das Ding braucht halt trotzdem Strom, und ist ein komplexeres elektrisches und elektronisches System, etc. Also keine Garantie, je nachdem für welche zukünftige Route wir uns entscheiden, könnte da doch noch eine Windfahne an unser Heck dran kommt, so sehr da jetzt auch einige beim Lesen den Kopf schütteln werden 🙂

Ersatz Autopilot Antrieb

Viel Praxisbestätigung der Theorie

Es gibt eine Reihe an Themen, die wir uns vorab durchdacht haben, wo wir dann aber trotzdem positiv überrascht waren, dass die Dinge so gut praxistauglich waren. Das Wesentlichste:

Centercockpit fühlt sich sicher an – würden wir nach wie vor nicht tauschen wollen

Downwind Besegelung – bereits oben erwähnt, die Flexibilität mit Passatbesegelung und Parasail hat uns in mehrfacher Hinsicht ruhig schlafen lassen

Schon öfter hier gezeigt – trotzdem immer wieder schön anzusehen der Parasail

Dinghy am Vordeck statt auf Davits – war bisher auf den Passagen gar nicht im Weg (wir werden separat berichten, wie es uns damit beim Ankern, Daysailing, etc. also dem normalen Coastal / Island Hopping Leben geht)

Kurzwelle macht Spaß – die SSB Funkrunden gehörten zu den täglichen Highlights am Atlantik, sowie auch der Emailaustausch (egal ob über KW oder Satellit). UKW hilft da natürlich nicht viel, die anderen Schiffe sind viel zu weit weg.

Unser Wachsystem – ist sehr subjektiv, hat aber für uns gut funktioniert (siehe hier)

Kein Geld für Angelzeug ausgeben – wir haben für Offshore die billigste Lösung genommen (Leine, Köder, Spindel – die Leine einfach an der Klampe befestigt), trotzdem was gefangen, und mehr Fisch brauchten wir nicht – ist aber natürlich auch sehr subjektiv.

Ersatzteillager – haben wir Großteils nicht gebraucht aber einige Sachen, insbesondere Kleinteile (Schäkel, Softschäkel, Splinte, Ringsplinte) sehr wohl, die dann schon schwerwiegendere Folgeprobleme verhinderten.

Täglicher Boots und Riggcheck – wie normal es wird genau die vorhin erwähnten Kleinigkeiten zu finden und die Probleme nicht größer werden zu lassen

Geht auch mit weniger als €50 für Equipment

… aber Probieren geht trotzdem über Studieren

Wir haben versucht möglichst alle Systeme und Set-ups, auch für die Passage, bereits bei der „Anreise“ im Mittelmeer zu testen, ausgiebig zu nutzen. Das hat sich auch voll ausgezahlt. Im Nachhinein hätten wir das auch gerne noch für die 1-2 Sachen im Mittelmeer durchgedrückt, die wir aus Corona getriebenen Zeitmangel (wegen verspäteter Abfahrt in Italien) nicht geschafft haben. So hatten wir die Passatbeseglung mit beidseitigem Ausbaumen erst nach Gibraltar mit Atlantikwelle zum ersten Mal geriggt. Trotz vorangegangenem Trockentraining im Hafen war das ein bissl ein Projekt und wir waren ziemlich fertig danach. Beim zweiten und dritten Mal ging das deutlich leichter von der Hand.

Passatbesegelung